Was ist Anforderungsmanagement?
Anforderungsmanagement (AM, engl. Requirements Management, RM) ist eine Managementaufgabe zur effizienten und fehlerarmen Entwicklung komplexer Systeme. Es umfasst die Erhebung, Spezifikation, Verwaltung, Steuerung und Kontrolle von Anforderungen während des gesamten Projektverlaufs. Ziel ist es, ein gemeinsames Verständnis über das zu entwickelnde System zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu schaffen und sicherzustellen, dass die Anforderungen vollständig, eindeutig, nachvollziehbar und testbar sind.
Ziele
- Einheitliches Verständnis zwischen allen Projektbeteiligten herstellen
- Anforderungen so dokumentieren, dass sie vertraglich belastbar sind
- Risiken reduzieren, die durch unklare oder fehlende Anforderungen entstehen
- Änderungen kontrolliert bewerten und umsetzen
- Anforderungen mit Testfällen verknüpfen, um die Qualität der Umsetzung messbar zu machen
Methoden im Anforderungsmanagement
- Scoping: Abgrenzung des Projektumfangs
- Anforderungserhebung (Requirements Engineering): Sammlung durch Interviews, Workshops, Beobachtungen
- Spezifikation: Dokumentation in Lastenheften, Pflichtenheften oder Fachkonzepten
- Analyse und Modellierung: Nutzung von Methoden wie UML oder BPMN zur Visualisierung
- Reviews: Gemeinsame Prüfung der Dokumente auf Vollständigkeit und Konsistenz
- Änderungsmanagement: Strukturierte Bewertung und Umsetzung von Änderungsanforderungen
Beispiel
Ein Automobilhersteller entwickelt ein Fahrerassistenzsystem.
- Kundenanforderung: „Das Fahrzeug soll automatisch den Abstand zum Vordermann halten.“
- Abgeleitete Systemanforderung: „Das System misst alle 100 ms die Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug und passt die Geschwindigkeit innerhalb von 200 ms an.“
- Akzeptanzkriterium: „Wird der Abstand von 50 m bei 100 km/h unterschritten, muss das Fahrzeug innerhalb von 1 Sekunde abbremsen.“
Diese Anforderungen werden in einer Datenbank verwaltet, Änderungen dokumentiert und Tests mit den Anforderungen verknüpft, um Nachvollziehbarkeit sicherzustellen.
Qualitätskriterien von Anforderungen
- Verständlich und eindeutig
- Vollständig und widerspruchsfrei
- Nachweisbar und testbar
- Frei von schwammigen Begriffen (z. B. „schnell“, „einfach“)
- Rückverfolgbar bis zur ursprünglichen Quelle
Normen und Standards
- CMMI, ISO/IEC 15504 (SPICE) und ISO/IEC 12207 definieren Anforderungsmanagement als zentralen Prozess
- In Deutschland: Requirements Interchange Format (RIF) für den standardisierten Austausch zwischen Unternehmen
- Verwendung natürlicher Sprache oder standardisierter Templates; bei Bedarf modellbasierte Darstellungen (UML, Message Sequence Charts)
Anforderungsmanagement-Software
- Dient der strukturierten Verwaltung, Versionskontrolle und Rückverfolgbarkeit von Anforderungen
- Ermöglicht Beziehungen zwischen Kundenanforderungen, Systemanforderungen und Tests
- Verhindert Redundanzen und erleichtert Änderungsmanagement
- Beispiele: IBM DOORS, Polarion, Jama Connect, moderne ALM-Tools
Hinweise für die Praxis
- Anforderungen sollten immer mit Akzeptanzkriterien versehen werden, um ihre Testbarkeit sicherzustellen
- Regelmäßige Reviews und Abnahmen durch Fachbereiche verhindern Missverständnisse
- Einsatz geeigneter Werkzeuge reduziert Fehler durch manuelle Dokumentation (z. B. Word/Excel)
- Enges Zusammenspiel von Anforderungsmanagement und Testmanagement ist notwendig, um eine lückenlose Abdeckung sicherzustellen